Das Projekt der modernen, professionellen Guerilla
– Hoffnung der unterdrückten Völker des 21. Jahrhunderts –
Wir schreiben heute den 65. Tag des heldenhaften Widerstandes der Guerilla in den Grenzgebieten der Medya Verteidigungsgebiete. Am 23. April startete die türkische Besatzerarmee einen umfassenden Angriff auf die von der Guerilla kontrollierten Regionen Metîna, Zap und Avaşin. Benannt wurde die großangelegte Operation mit dem Namen „Claw Lightning and Claw Thunderbolt“. Es ist eine Operation, die sich direkt einreiht in die Eskalationsschraube der letzten 6 Jahre, in denen die faschistische AKP-MHP Diktatur der Türkei alles darauf gesetzt, hat den Freiheits- und Widerstandswillen des kurdischen Volkes und aller antifaschistischen Kräfte der Region zu brechen. Dieser Angriff ist die Fortsetzung des Krieges in den Städten Nordkurdistans 2015 und 2016, der Invasion in Efrîn 2018, Girê Spî und Serêkaniyê 2019, sowie der Angriffskriege gegen die Guerilla in den Gebieten Xakurkê und Heftanîn.
Das Konzept „In die Knie zwingen“:
Bereits im Oktober 2014 beschloss die Führungsriege des türkischen Staates den Plan „In die Knie zwingen“ (Plana Çokdanîne), also genau zur Hochphase des Widerstandes in Kobane gegen den IS und während in der Türkei und Nordkurdistan eigentlich seit Newroz 2013 ein Waffenstillstand vorherrschte. Kurz und knapp bei diesem Plan geht es darum die kurdische Freiheitsbewegung und allen Voran ihre Avantgarde, die PKK in die Knie zu zwingen. Dementsprechend werden seit 6 Jahren alle dem türkischen Staat zur Verfügung stehenden militärischen, finaziell-ökonomischen und politisch-diplomatischen Ressourcen mobilisiert. Erdogan und die AKP-MHP Regierung sehen diesen Krieg als einzige Möglichkeit für den Machterhalt und die Verwirklichung ihrer imperialen Bestrebungen.
Es war der Spätsommer 2014 als das Volk in Rojava und ihre Verteidigungskräfte YPG und YPJ sich heldenhaft gegen das Vorrücken des IS stellten. Gleichzeitig eilte die Guerilla HPG und YJA-Star in Südkurdistan/Nordirak, nachdem die Pesmerga der KDP ihre Stellungen an allen Frontlinien verlassen hatten, in einer historischen Operation den EzidInnen im Sengal zur Hilfe und bereitete dem Vorrücken der islamistischen Banden auf Kerkuk, Maxmur und Hewler ein Ende. Inspirierte von der Revolution in Rojava und dem Widerstand gegen den IS gingen weltweit Millionen von Menschen auf die Straße und erklärten ihre Solidarität. Eine neue internationale Bewegung entstand. In Nordkurdistan ließ das Volk im Aufstand vom 5.-9. Oktober für einige Tage die Machthaber der Türkei in Furcht und Angst erzittern. Die Institutionen des Staates und der Regierung gingen in Flammen auf und Soldaten wagten es nicht aus ihren Kasernen zu kommen. 2014 war ein Jahr harter Konfrontation und die revolutionäre Bewegung wuchs daran und wurde stärker und größer Tag für Tag. Rojava leistete erfolgreich Widerstand und konnte das Herz vieler Menschen weltweit für sich gewinnen, in Nordkurdistan und der Türkei wurde sich massenhaft organisiert, das Projekt der HDP wurde in die Tat umgesetzt, im Süden erlangte die Guerilla durch ihre selbstlose und aufopferungsbereite Intervention gegen den IS lange nicht gesehene Popularität. Der türkische Staat hatte gehofft, die Waffenstillstandsphase für eine Verweichlichung der Bewegung und Verwässerung der ideologischen Prinzipien nutzen zu können, stattdessen bekam der bewaffnete Kampf soviel Zulauf wie lange nicht. Allein im August 2014 erklärte Murat Karayilan, dass sich im Verlauf von einem einzigen Monat mehr als 1000 Frauen und Männer der Guerilla angeschlossen hätten. Der Widerstand in Kobane blieb trotz der scheinbaren Übermacht des IS standhaft, nicht zuletzt weil die Guerilla und hunderte Jugendliche aus dem Norden sich auf den Weg machten, die Grenze zu Kobane überquerten, sich direkt an der Front dem Widerstand anschlossen und zum Großteil ihr Leben gaben um den Fall Kobanes um jeden Preis zu verhindern.
Diese Realität mit der sich die Erdogan-Regierung 2014 konfrontiert sah, ließ sie schlussfolgern, dass nur eine komplette Unterdrückung des dynamischsten Teils der Revolution, dem Volk in Nordkurdistan und eine Vernichtung der Avantgarde dieser Freiheitsbewegung ihre Existenz und Macht sichern könnte. Das Volk, die Guerilla, die organistorisch-ideologische Führung durch die PKK sollte „in die Knie gezwungen“ werden. Aufgrundlage dessen wurde Abdullah Öcalan ab April 2015 auf der Gefängnisinsel Imrali erneut in komplette Isolation gezwungen. Es wurde alles unternommen, um der HDP den Einzug ins Parlament bei den Wahlen im Jahr 2015 zu verwehren, wobei sie offensichtlich kein Erfolg hatten und am 24. Juli 2015 schließlich begann die türkische Besatzerarmee die seit mittlerweile 6 Jahren anhaltende Kriegsphase durch einen umfassenden Angriff auf die von der Guerilla kontrollierten Medya Verteidigungsgebiete in Südkurdistan/Nordirak. Die Guerilla antwortete darauf mit der Auflösung des bis dahin sowieso nur einseitig erklärten Waffenstillstands. Das Volk rief die autonome, demokratische Selbstverwaltung in mehreren Regionen Nordkurdistans aus und gründete die Zivilen Selbstverteidigungseinheiten YPS. Weder das Volk noch die Guerilla ließen sich beugen und in die Knie zwingen, sondern sie stehen weiterhin aufrecht und verteidigen ihre Würde. Seither hat sich viel getan, doch der Krieg geht unvermindert weiter. Nordkurdistan, Südkurdistan und Rojava (Westkurdistan) sind in diesem Krieg miteinander verbunden, auch wenn sie durch physisch gezogene Grenzen gezwungenermaßen voneinander getrennt wurden und genau das müssen wir alle verstehen. Der Kampf in den verschiedenen Teilen Kurdistans kann nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Ohne die Guerilla wäre die Revolution in Rojava nie möglich gewesen. Die Guerilla verteidigte Kobane 2014/2015 und hat nie aufgehört sich für die Verteidigung der Revolution in Rojava verantwortlich zu sehen und wenn nötig aufzuopfern. Die Guerilla ist der Garant für die Unabhängigkeit der Revolution in Rojava.
Die Situation und das Geschehen in der gesamten Region, sowohl der verschiedenen Teile Kurdistans, als auch der Besatzerstaaten und benachbarten Länder ist untrennbar miteinander verstrickt. Auf der einen Seite ist das einer der Gründe warum der Kampf und die Situation in der Region so unglaublich kompliziert ist, auf der anderen Seite beweist diese Realität das enorme Potential einer möglichen, erfolgreichen Revolution in dieser Region.
Mit dem Ziel die Guerilla zu vernichten, startete die türkische, faschistische Besatzerarmee 2018 ihre Operation gegen die Region Xakurkê, 2019 und 2020 ihre Operation gegen Heftanîn und schließlich wollten sie in diesem Frühjahr durch die Besatzung der Region Gare dem Zentrum der Guerilla einen schweren Schlag zuführen.
Gare – Die Rache und der Sieg der Guerilla
Die Bergregion Gare ist ein für die Guerilla strategisch wichtiger Ort. Gare liegt nicht wie bspw. Metîna, Avaşin, Zap, Heftanîn und Xakurkê an der Grenze zum türkischen Staatsgebiet, sondern weiter südlich im Inland. Insofern hatte Gare auch immer die Bedeutung für die Guerilla nicht an der direkten Frontlinie zu liegen, sondern auch trotz Luftangriffen und Drohnenüberwachung, Platz zu bieten für organisatorische Arbeiten, Bildungsarbeiten, etc. Am 10. Februar diesen Jahres startete die türkische Besatzerarmee eine großangelegte Operation zur Invasion der Gare Region. Eingeleitet und begleitet von massiven Bombardements und flächendeckender Luftüberwachung schickte die türkische Armee hunderte ihrer Spezialeinheiten mit Hubschraubern aus dem Süden, also KDP-Gebiet, nach Gare. Bereits am ersten Tag versuchten sie die strategischen Gipfel der Gegend einzunehmen, scheiterten jedoch kläglich durch die direkte Antwort der Guerilla. Wo auch immer die türkische Armee ihre Soldaten absetzte, trotz vorhergegangener stundenlanger Bombardierungen, war die Guerilla vor Ort und versetzte den Invasoren schwere Schläge.
Es ist offensichtlich, was der Plan war. Sie wollten mit dieser überaschenden Blitzoperation in eines der Kerngebiete der Guerilla vordringen, sich dauerhauft dort festsetzen. Tagelang wurde die gesamte Gegend unablässig aus der Luft bombardiert. In der Höhle in der sich kriegsgefangene, türkische Soldaten und MIT-Offiziere befanden, setzte die türkische Armee schlussendlich Giftgas ein, tötete somit sowohl die eigenen Leute, als auch die, von Sehid Şoreş angeführten, seit Tagen vor Ort Widerstand leistenden Freunde der Guerilla. Nach 4 Tagen jedoch war die türkische, hoch-modern aufgerüstete, zweitgrößte NATO-Armee, geschlagen und besiegt, dazu gezwungen sich zurückzuziehen. Der 14. Februar diesen Jahres markiert insofern einen historischen Etappensieg der Guerilla. Ein weiteres Mal war es die Guerilla, die Rojava verteidigte. „Warum?,“ werden jetzt einige fragen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Gare liegt doch in Südkurdistan/Nordirak und Rojava liegt in Nordsyrien. Richtig, aber das ist ja nicht der entscheidende Punkt hier. In Gare wurde Rache für die Besatzung von Efrîn, Girê Spî und Serêkaniyê genommen. Die tausenden von gefallenen Kämpferinnen und Kämpfern die, vom türkischen Staat und seinen Schergen ermordeten Frauen, Kinder und Männer wurden in Gare gerächt. Der Mythos und die Propaganda, gegen die Übermacht des Staates sei auch die Guerilla schlussendlich ohnmächtig, wurde ein weiteres Mal gebrochen und als Lüge enttarnt. Gare ist ein Sieg für uns alle gewesen, in Kurdistan und rund um die Welt, ein Sieg für uns alle, die wir Seite an Seite mit dem antifaschistischen Widerstand der letzten Jahre marschiert sind und gegen den türkischen Faschismus und seine internationalen Helfer den Kampf auf unterschiedlichste Weise aufgenommen haben. Sosehr der türksiche Staat auch versucht durch Propagandalügen die Wahrheit zu verschleiern und umzudrehen, sosehr sie auch versuchen durch die aktuelle, breit und massiv angelegte, militärische Kampagne gegen die Guerilla den Widerstand zu brechen, sie werden unseren Sieg, den Sieg der Guerilla in Gare nicht ungeschehen machen können. Die türkische Armee wurde in Gare in die Knie gezwungen und wird gerade in diesem Moment alltäglich in den Bergen, in Metîna, Zap und Avaşin in die Knie gezwungen. Um einer Blamage vorzubeugen greift die türkische Armee auf den Einsatz ihrer paramilitärischen Kräfte, islamistischer Banden aus Syrien, dem Einsatz von Dorschützern und auf die Schergen der KDP zurück. Weniger türkische Soldaten, deren Kampfmoral gebrochen ist, werden an die Front geschickt, sondern andere Kräfte als Kanonenfutter entsendet. In diesem Zusammenhang spielt die KDP eine zentrale Rolle, indem sie seit Monaten damit beschäftigt ist die Guerillagebiete vom Süden her einzukreisen und eine Eskalation zu provozieren, welche einen fatalen kurdisch-kurdischen Krieg mit sich bringen würde. Und auch wenn die KDP es verdient hätte für ihre Verbrechen zu Rechenschaft gezogen zu werden, so wäre eine solche Eskalation im absoluten Sinne und Zwecke des türkischen Faschismus. Die Situation ist ernst und der Krieg in einer kritischen, entscheidenden Phase. Dessen ist sich auch der türkische Staat bewusst und lässt dementsprechend nichts unversucht um vorrücken zu können. Auch in Metîna, Zap und Avaşin werden Chemiewaffen und Giftgas von der türkischen Armee eingesetzt, um die Verteidigungstunnel und Höhlen der Guerilla einnehmen zu können. Trotz alledem leistet die Guerilla weiterhin seit über 60 Tagen Widerstand. Gleichzeitig ist interessant zu beobachten, dass die normalerweise jede militärische Operation begleitende Propaganda diesmal relativ bescheiden und zurückhaltend ausfiel. Offensichtlich wurde sich dazu entschlossen nicht zu groß rumzuposaunen um einer möglichen Blamage wie in Gare entgehen zu können.
Das Konzept der modernen Guerilla
Seit 65 Tagen also schon leisten die jungen Frauen und Männer der HPG und YJA-Star rund um die Uhr 24/7 Widerstand. Konfrontiert mit einer hochmodern aufgerüsteten NATO-Armee, welche für ihren Vernichtungsfeldzug grünes Licht von Seiten ihrer NATO-Partner USA und Europa bekommen hat und unterstützt wird von den Kollaborateuren der KDP in Südkurdistan, bleibt der Guerilla nicht mehr als ihr Wille zum Widerstand und Sieg gegen den Faschismus. Es ist dieser Wille und damit verbunden die Verwirklichung des Projekts einer „modernen Guerilla“ des 21. Jahrhunderts, die dafür sorgen, dass auch nach 65 Tagen der türkische Staat noch keine nennenswerten Gebietsgewinne zu verbuchen hat. Der Sieg in Gare und der ungebrochene Widerstand der Guerilla sind das Resultat der revolutionären Entschlossenheit der apoistischen Guerilla, als auch Resultat der Umstrukturierung und Reoorganisierung der letzten Jahre hin zu einer modernen, professionellen Guerilla. Die Fähigkeit der HPG und YJA-Star bis heute ihre Gebiete in Südkurdistan zu halten und in allen Gebieten Nordkurdistans weiterhin aktiv zu sein, hängt in erster Linie mit dieser Professionalisierung zusammen.
Das Konzept der modernen Guerilla baut nicht mehr allein auf klassischer Guerillataktik auf, sondern professionalisiert sich in allen Punkten des Krieges und der Revolution. Die moderne Guerillera muss gefestigt in ihrer ideologisch-politischen Überzeugung sein, entschlossen für den Aufbau des Sozialismus im 21. Jahrhundert: ein Guerillero der demokratischen Moderne, eine Guerillera der demokratischen, ökologischen Gesellschaft und der Freiheit der Frau. Der moderne Guerillero muss Soldat sein: Das heißt, diszipliniert, organisiert und strukturiert zu sein. Die moderne Guerillera muss den Feind kennen und sich selbst kennen, sich entsprechend der Gegebenheiten und Bedingungen bewegen und in der ihr zur Verfügung stehenden Waffentechnik spezialisiert sein. Die Grundlagen klassischer Guerilla gelten weiter, doch die moderne Guerilla organisiert sich den sich immer weiter entwickelnden technischen Möglichkeiten der Staaten und Herrschenden entsprechend. Die moderne Guerilla findet dadurch eigene, kreative Antworten auf die sich ständig verändernde Charakteristik des Krieges heutzutage. Auch wenn Quantität nicht an Wichtigkeit verliert, so tritt in der modernen Kriegsführung Qualität vor Quantität und dies gilt insbesondere für die Guerilla. Einer der Hauptgründe warum die kurdische Freiheitsbewegung weiterhin international kriminalisiert, politisch-diplomatisch-ökonomisch marginalisiert und isoliert wird, warum die USA und Europa den Krieg der Türkei gegen die PKK mit allen Mitteln unterstützen und finanzieren, warum Abdullah Öcalan weiterhin in Isolationshaft ist und warum Rojava keinen offiziellen Status international bekommt, ist die Strahlkraft die ein erfolgreicher Guerillakampf gegen einen NATO-Staat im 21. Jahrhundert haben könnte. Die Imperialisten fürchten sich davor, das Modell der „modernen und professionellen Guerilla“ des 21. Jahrhunderts könnte zu einem Beispiel und Modell für andere Völker und soziale Kämpfe rund um die Welt werden. Stellt euch vor, wenn sie schon so große Probleme mit der Guerilla in Kurdistan haben und es seit mehr als 40 Jahren nicht schaffen die PKK zu vernichten, was würde passieren, wenn 2, 3, viele moderne Guerillabewegungen in verschiedenen Teilen der Welt entstehen würden? Was wenn 2, 3, viele kämpfende Bewegungen sich dieses Modell zu eigen machen würden?
Die Situation der Türkei, der Krieg in Kurdistan und die NATO
Die NATO unter Führung der USA fürchten sich vor einem solchen Szenario. Eine sozialistische Guerilla die eine NATO-Armee im 21. Jahrhundert besiegt? Für die kapitalistischen Machthaber ein Horrorszenario. Wurde denn nicht erst vor 30 Jahren die Fahne des Sozialismus zu Grabe getragen? Wurde nicht das Ende der Geschichte ausgerufen? Die für die Kapitalisten schmerzhafte Antwort lautet: In Kurdistan, im Krieg gegen die NATO, im Widerstand gegen den türkischen Faschusmus wird weiterhin selbstbewusst Geschichte gemacht und es ist noch lange nichts entschieden, die Totgeglaubten sind am Leben.
Wir kennen die Geschichte der Spezialkriegsführung der NATO im 20. Jahrhundert, in deren Zuge weltweit alles unternommen wurde um kommunistische und sozialistische Bewegungen zu liquidieren, zu vernichten, zu assimilieren und zu liberalisieren. Auch die Türkei war und ist ein Ort intensiver spezieller Kriegsführung. Putsche, Pogrome, gleichgeschaltete Presse, Folter, Massaker, extra-legale Hinrichtungen, paramilitärischer Terror, Massenverhaftungen, Lüge, Drogen, Prostitution, Korruption, Erpressung, etc. – diese gehören alle zum festen Repertoire des türkischen Staates, gehören zum festen Repertoire zur Machterhaltung jedes NATO-Mitglieds. Dies ist nichts Neues, gewinnt jedoch durch die Enthüllungen des Kontras Sedat Peker – der seit einiger Zeit über Youtube Teile seines Wissens, über die Machenschaften des tiefen Staates in der Türkei und die Beteiligung verschiedener Persönlichkeiten in diesen Machenschaften, der allgemeinen Öffentlichkeit mitteilt – an aktueller Brisanz. Dass dahinter ein ernsthafter Machtkonflikt innerhalb des türkischen Staates steckt, ist offensichtlich und dass dadurch Erdogan unter Druck gesetzt werden soll, ist ebenso klar erkenntlich. Doch es zeigt auf, in was für einer kritischen Situation sich die Türkei befindet. Ökonomisch geht es seit Jahren bergab und gäbe es da nicht die regelmäßigen Finanzspritzen von Seiten der EU und der USA so würde sich die Türkei vermutlich nicht mehr so leicht auf den Beinen halten können. Innenpolitisch brodelt es; die Erdogan-Bahceli Regierung hat über Jahre hinweg – durch falsche Versprechungen auf der einen Seite und brutaler Repression auf der anderen Seite – die eigene Macht wahren können, doch dass das so nicht ewig weitergehen wird, zeigt die Geschichte. Außenpolitisch zeigt sich die Türkei gerne selbstbewusst und unabhängig, ist jedoch letztendlich von dem Wohlwollen der USA und der mächtigen Akteure in der EU, sprich BRD und Großbritannien, abhängig. Auch wenn die Türkei sich militärisch als unbesiegbar darstellt und in den letzten Jahren sich einen Namen durch verschiedenste Auslandseinsätze gemacht hat, wie z.B. in Armenien-Karabach, Libyen, Nordsyrien und Nordirak, so zieht der Krieg doch immens an den Kräften des Staates. Der Widerstand der kurdischen Freiheitsbewegung lässt die Türkei nicht locker, zehrt an ihren wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten. Der türkische Faschismus steht am Abgrund und klammert sich mit aller Kraft ans Bein der imperialistischen Großmächte um ja nicht abzurutschen. Die AKP-MHP Regierung mag dies nicht offen zeigen und die gleichgeschaltete Presse mag ein anderes Bild malen, doch alleine die Realität, dass, wie von Murat Karayilan aus der Generalkommandantur der HPG erklärt, der türkische Staat in den letzten Monaten mehrmals durch Mittelspersonen versucht hat die PKK dazu zu bringen einen Waffenstillstand zu erklären, sogar mit dem Angebot, wenn sich die Guerilla aus Nordkurdistan zurückziehen würde, dann könnten sie in den anderen Teilen Kurdistans machen was sie wollten, erklärt die Situation der Türkei sehr gut.
Es stimmt, dass es eine schwierige Zeit in Kurdistan ist. Jeden Tag lassen großartige Frauen und Männer, Genossinnen und Genossen an den verschiedenen Fronten in Kurdistan ihr Leben. Die NATO, unter Führung der USA und unter Ausführung der Türkei, setzen ihren Vernichtungsfeldzug gegen die PKK und die kurdische Freiheitsbewegung fort. Egal ob demokratische oder republikanische Regierung in den USA, die Worte mögen anders sein, doch die Strategie bleibt die selbe – dies wurde bereits direkt nachdem das Präsidentenamt von Biden übernommen wurde klargemacht, indem grünes Licht für die Operation in Gare gegeben wurde. Vor kurzem erst wurde die Kopfgeldaustellung auf führende Genossen der PKK, welche seit 2018 existierte, erneuert und gleichzeitig der jetzige Krieg in Metîna, Zap und Avaşin angefangen.
Unsere kämpfenden, zur Freiheit strebenden Genossinnen und Genossen in Kurdistan gehen durch eine schwierige Zeit. In den Bergen leben die Guerillas unter unablässiger Luftüberwachung, welche bei einer falschen Bewegung den Tot bedeutet. Das Summen der Drohnen und das Donnern der F-16 Jets bricht kaum ab. Es ist genau diese schwierige Zeit, die es von uns international verlangt, alles in unseren Möglichkeiten stehende zur Unterstützung des Widerstandes zu tun. Es ist auch genau diese schwierige Zeit, welche die große Hoffnung für die Zerstörung des türkischen Faschismus in sich trägt.
Die Rolle der KDP: Verrat und Kollaboration
Ganz besonders die Rolle der KDP in dieser Zeit ist eine kritische Rolle. Seit Jahren ist sie damit beschäftigt der Türkei und insbesondere dem türkischen Geheimdienst zu dienen. Mit der Ausrede politisch-diplomatisch-wirtschaftliche Beziehungen zum Nachbarstaat zum Wohle des eigenen Volkes zu führen, wurden Großteile Südkurdistans direkt oder indirekt an die Türkei übergeben. Dutzende türkische Militärstützpunkte wurden errichtet und der MIT bewegt und verhält sich in Hewler/Erbil, Duhok und Zaxo genauso wie in Ankara, Istanbul und Izmir. Die Türkei und insbesondere die AKP betrachten Südkurdistan bis nach Mosul und Kerkuk als Teil ihres zu beanspruchenden Herrschaftsgebietes und sind fest entschlossen, bis 2023, dem 100-jährigen Jubiläum des Vertrags von Lausanne, Fakten in der Region zu schaffen, welche es ihnen ermöglicht die eigenen Grenzen auszuweiten. Größtes Hindernis dafür: Die PKK und ihre Guerilla.
Der Vertrag von Lausanne war der finale internationale Vertrag, der im Jahre 1923 die Grenzziehung der Türkei nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches regelte. Erdogan erhebt gemeinsam mit der AKP im Namen der Türkei seit Jahren Anspruch auf die ehemaligen Herrschaftsgebiete des Osmanischen Reiches vor der Beschließung des Vertrags von Lausanne und behauptet immer wieder, die Türkei sei damals um ihr Land betrogen worden. Nun hat die KDP unter Führung des Barzani-Clans der Türkei seit Jahren in jeglicher Hinsicht Tür und Tor geöffnet und die Türkei verhält sich Südkurdistan gegenüber so, als wäre es ein weiterer Distrikt unter ihrer Verwaltung. Neu ist das nicht: Bereits in den 90ern benutzte die Türkei (mit Zustimmung der NATO) die Pesmerga der KDP, um die Guerilla von ihrer Offensive im Norden abzuhalten und sie mit einem Zwei-Fronten-Krieg aufzureiben. Neben der geheimdienstlichen Überwachungsarbeiten im Süden, die es der Türkei in den letzten Jahren immer wieder ermöglicht haben, Freundinnen und Freunde der Guerilla, insbesondere auch einige Führungsmitglieder, wie sie sagen, „auszuschalten“, wird die KDP von Seiten der Türkei seit Monaten dazu benutzt, die Medya Verteidigungsgebiete einzukreisen, einzuengen und die verschiedenen Gebiete voneinander abzuschneiden. Gleichzeitig soll dadurch ein Krieg zwischen KDP und PKK provoziert werden. Die KDP macht gefügig mit in diesem Spiel mit dem Feuer, erklärt aber auch nicht von selbst den Krieg, sondern versucht durch Provokationen, Lügen und Komplotte die Guerilla in eine Position zu bringen, in der sie angreifen muss, um die Schuld eines sogenannten „Bruderkrieges“ auf die PKK schieben zu können und somit die PKK in allen Teilen Kurdistans und der Diaspora zu diffamieren und zu delegitimieren. Offensichtlich geschieht dies alles in Abstimmung und unter Zustimmung der USA, Großbrittaniens und der BRD. Die imperialistischen Mächte haben sich dazu entschlossen, die PKK um jeden Preis zu vernichten. Die KDP selbst hat sich sowieso schon vor Jahrzehnten verkauft und die eigene Existenz von der Zusammenarbeit mit den Besatzern Kurdistans und den Imperialisten abhängig gemacht.
Zusammenfassend können wir PKK und KDP als den konkreten Ausdruck zweier grundsätzlich voneinander verschiedener Linien in Kurdistan definieren. So betrachtet, ist die KDP der Ausdruck für Verrat am eigenen Volk und Kollaboration mit dem Feind, die PKK der Ausdruck für konsequenten Widerstand und ungebrochene Verbundenheit mit dem eigenen Land und Volk. Diese Unterscheidung beschreibt die aktuelle Situation in der Region und die Position der verschiedenen Kräfte.
Die Guerilla ist nicht alleine – wir stehen hinter ihr
Die NATO, Türkei und KDP verfolgen eine Strategie der Isolierung und Spaltung. Geographisch werden die Guerillagebiete voneinander getrennt und Rojava vom Rest Kurdistans abgeschottet. Die verschiedenen Regionen werden eingekreist und politisch-diplomatisch, sowie ökonomisch marginalisiert und isoliert, Druck wird aufgebaut und eine Mauer aus Anti-Propaganda international hochgezogen. Wir stellen uns dagegen und sagen ganz klar, die Guerilla ist nicht alleine! So wie wir hinter der Revolution in Rojava stehen, stehen wir auch hinter der Guerilla, denn wir haben verstanden, dass es keinen Unterschied dazwischen gibt. Das Eine bedingt das andere und umgekehrt. Ebenso muss verstanden werden, dass der Krieg im Süden sowohl Fortsetzung der Invasion in Rojava, als auch Vorbereitung für eine neue Invasion in Rojava ist. Als im Februar die Operation in Gare begann, war es die Tage vorher nicht klar gewesen wo der türkische Staat zuschlagen würde und genauso wie eine Operation gegen die Medya Verteidigungsgebiete warscheinlich war, war auch eine umfassende Operation gegen Sengal und Rojava, insbesondere die Region zwischen Qamislo und Derik möglich. International ist es wichtig sich entschlossen mit der Guerilla solidarisch zu zeigen und aktiv gegen den türkischen Faschismus, ihre internationalen Institutionen, ihre Helfer, Unterstützer und Nutznießer und gegen die KDP in Aktion zu treten. Auf diese Art und Weise können wir unseren Beitrag zur Revolution leisten und eine konsequente antikapitalistische, anti-imperialistische Position einnehmen und vertreten.
Im Namen der Kampagne RiseUp4Rojava erklären wir in diesem Zusammenhang unsere Unterstützung für die neu entstandene Initiative „Defend Kurdistan“ und grüßen die daran beteiligten Genossinnen und Genossen.
Darüber hinaus senden wir unsere Grüße an alle Kämpferinnen und Kämpfer die an den Frontlinien in Efrîn, Eyn Isa, Til Temir, Metîna, Zap und Avaşin Widerstand leisten!
Gemeinsam werden wir den türkischen Faschismus besiegen, Kurdistan verteidigen und das freie Leben aufbauen!
We continue to #UniteInResistance
We will #SmashTurkishFascism
We #RiseUp4Kurdistan
We #RiseUp4Rojava
Coordination Campaign RiseUp4Rojava,
29.06.2021
(Quelle: https://riseup4rojava.org/de/bewertung-der-aktuellen-politisch-militaerischen-situation-in-kurdistan-29-06-2021/)