Anschlag in Ankara: Türkisches Innenministerium im Fadenkreuz der PKK. Ein Gespräch mit Zagros Hîwa (Sprecher des Dachverbandes Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK)

Der Angriff vor dem türkischen Innenministerium am Sonntag, zu dem sich die Arbeiterpartei Kurdistans PKK bekannte, war für viele überraschend, denn Suizidattentate waren seit längerer Zeit keine übliche Taktik der PKK. Warum griff die PKK zu diesem Mittel?

Meiner Meinung nach handelt es sich nicht um Selbstmordattentate, sondern um aufopferungsvolle Aktionen der Selbstverteidigung gegen die völkermörderischen Angriffe der türkischen Armee auf das kurdische Volk in der Türkei, im Irak und in Syrien. Der türkische Staat führt die Psychokriegskampagne »Wir haben die PKK in der Türkei erledigt, sie sind nur noch im Irak und in Syrien«. Die Genossen erinnerten die faschistischen Machthaber daran, dass die PKK auch an dem Ort existiert, an dem sie sich zuerst gruppiert hat und sich die Kurden genau dort verteidigen können, wo Angriffe gegen sie geplant werden.

Bei dem Angriff wurden zwei Polizisten verletzt, aber niemand außer den Angreifern getötet. Was sollte die Aktion Ihrer Meinung nach bewirken?

Die Aktion war eine Antwort auf die Angriffe der türkischen Armee gegen das kurdische Volk. Die türkische Armee hat in den letzten drei Jahren chemische Waffen gegen die Freiheitskämpfer eingesetzt. Politische Gefangene in der Türkei werden in türkischen Gefängnissen gefoltert und getötet. Und die EU, die USA und internationale Organisationen schweigen ohrenbetäubend zu diesen schweren Menschenrechtsverletzungen.

In dem Bekennerschreiben steht, der Angriff sei als Warnung gedacht gewesen. Was fordert die PKK, damit keine weiteren Aktionen dieser Art folgen?

Die chemischen Angriffe und der Einsatz von verbotenen Waffen gegen unsere Stellungen müssen aufhören. Die türkische Armee muss sich aus den Orten zurückziehen, die sie im Nordirak eingenommen und annektiert hat. Abdullah Öcalan ist seit mehr als 31 Monaten in schwerer Isolation, ohne Kontakt zur Außenwelt. Weder Anwälte noch seine Familie, niemand hat in dieser Zeit mit ihm sprechen können.

In der BRD ist die PKK seit 30 Jahren verboten. Denken Sie, dass so eine Aktion wie die in Ankara Verbote in weiteren Ländern begünstigen könnte?

Das Verbot der PKK durch die europäischen Länder, insbesondere in der BRD, entbehrt jeder rechtlichen und legitimen Grundlage. Der einzige Grund dafür ist, sich auf Kosten der Kurden weitere wirtschaftliche und politische Zugeständnisse von der Türkei zu sichern. Die PKK hat nichts gegen die europäischen Staaten und das europäische Volk unternommen, und ihr Verbot hat eine sehr negative Rolle bei der Eskalation des Konflikts gespielt. Hätten die europäischen Länder die PKK nicht verboten, hätte der türkische Staat nicht eine völlig militärische Politik gegen die Kurden betrieben. Ich fordere die europäischen Länder auf, eine Delegation in den Nordirak zu entsenden, um herauszufinden, inwieweit die Türkei durch den Einsatz chemischer und anderer verbotener Waffen gegen das Völkerrecht verstößt. Erst dann können sie zu Recht entscheiden, wen sie verbieten wollen.

Der türkische Staat hat mit Angriffen auf Südkurdistan und etlichen Verhaftungen von Kurden in der Türkei auf den Anschlag reagiert. Bürgerliche deutsche Medien sorgen sich vor einer »Spirale der Gewalt«. Was würden Sie denen entgegnen?

Wenn die bürgerlichen Medien über die »Spirale der Gewalt« besorgt sind, sollten sie zu den Wurzeln der Gewalt gehen und sich auch historisches, nicht tagesaktuelles Wissen über die kurdische Frage aneignen. Wenn sie dies tun, werden sie herausfinden, dass die türkische Politik des Völkermords an den Kurden, insbesondere in den letzten 100 Jahren, die Hauptursache für die Gewalt ist, nicht nur in der Türkei, sondern auch im gesamten Nahen Osten. Diese Medien sollten auch die Rolle der europäischen Länder bei der Entstehung der Kurdenfrage durch den Vertrag von Lausanne und damit die jüngste »Spirale der Gewalt« untersuchen. Wenn sie das tun, werden sie mit Sicherheit herausfinden, dass diese »Gewaltspirale« in »Kriegsverbrechen der Türkei gegen die Kurden« umdefiniert werden muss. Solange sie die PKK verbieten und die Kurden kriminalisieren, machen sich die europäischen Staaten zu Komplizen dieser Verbrechen.

https://www.jungewelt.de/artikel/460394.kampf-um-kurdistan-eine-antwort-auf-angriffe-der-t%C3%BCrkischen-armee.html?sstr=Pkk

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