Gefunden auf Nuce Ciwan
NACHRICHTENZENTRUM – Derzeit findet in Bern ein Prozess gegen vier Aktivistinnen und Aktivisten in Bern statt, die mit einem Transparent in Verbindung stehen sollen auf den steht “Kill Erdogan”. Dieses Transparent machte die türkische Regierung sehr wütend, vor allem Erdogan selbst und erlangte so einen gewissen Bekanntheitsgrad.
Wir haben ein schriftliches (anonymisiertes) Interview mit den Aktivistinnen und Aktivisten geführt die derzeit in Bern auf der Anklagebank sitzen und nach den Hintergründen des Prozesses und die Haltung der betroffenen Aktivistinnen und Aktivsten gefragt.
Das Interview lautet wie folgt:
In Bern findet derzeit ein Prozess gegen vier Aktivistinnen und Aktivsten statt, weil sie angeblich mit einem Transparent auf dem “Kill Erdogan” stand in Verbindung stehen. Wie ist es dazu gekommen und wie schätzt ihr die politische Dimension dieses Prozesses ein?
“Die Staatsanwaltschaft hat aus der Demonstration mit vielen hundert Teilnehmenden sechs Personen herausgepickt. Wir wurden angezeigt und sollen nun der Türkei als Verantwortliche für das Banner geliefert werden. Nur aufgrund ständigem Druck der Türkei auf die Schweizer Justiz und Politik kam es überhaupt zu diesem Gerichtsverfahren.”
Das Transparent um das es geht, ging speziell um die Rolle von Erdogan, auch später wurden Plakate und Bilder veröffentlicht, die speziell auf die Rolle Erdogans eingehen. Warum wird Erdogan gezielt kritisiert? Wie wird seine Rolle bewertet?
“Wir verurteilen Erdogan für seine ganze Politik. Wir haben 7 Punkte seiner Politik genauer analysiert und kritisiert, darunter auch seine Politik der Gewalt an Frauen und Mädchen. Sein Kriegskurs gegen die kurdische Bevölkerung, seine Verantwortung für 10’000 politische Gefangene oder auch seine Erpressungsversuche gegenüber der EU liegen ebenfalls in unserem Fokus.
Uns ist klar, ein toter Erdogan würde nicht alle Probleme beseitigen. Dafür ist Nationalismus und Islamismus zu weit verbreitet. Aber wir würden um ihn sicherlich nicht weinen.”
Heute ist der dritte Prozesstag vorüber gegangen und am 09. März wird der Prozess abgeschlossen werden. Was ist während dieser drei Prozesstage passiert? Wie positionierten sich die Betroffenen? Wie hat sich das Gericht positioniert und die Staatsanwaltschaft? Wie schätzt ihr das Ergebnis des Prozesses ein?
“Wir wollten einen politischen Prozess und das ist uns gelungen. Der Gerichtssaal wurde zu einer Bühne um gegen Erdogan zu kämpfen. Uns gelang es, der Plan des Richters zu durchkreuzen. Nicht wir waren es die zuhören oder antworten mussten. Wir haben bestimmt über was wir sprechen, wie lange wir sprechen und wann wir wem Respekt zollen: Wir erheben uns nicht für Richter:innen, jedoch um den Gefallenen zu gedenken. Das Urteil ist nicht relevant, für uns zählt die mediale Berichterstattung, der große Rückhalt in der Bevölkerung und der dadurch in der Gesellschaft losgetretene Diskurs.
Der Richter zeigte sich verwirrt, er machte viele Pausen und man sah ihm an, dass er mit unserer Prozessführung überfordert war. Die Staatsanwaltschaft ist nicht viel mehr als ein schlechter Witz. Weder wirklich angriffig noch überzeugend, zeigt sie perfekt, dass sie diesen Fall machen muss, obschon sie selber nicht daran glaubt.
Wir rechnen mit einem Freispruch obschon wir wissen, dass auf dem Richter der Druck der internationalen CH-TR Beziehungen lastet. Aber eine Verurteilung käme schon fast ein Skandal gleich.”
Die Betroffenen nutzen den Prozess, um die Zusammenarbeit der Schweiz und dem türkischen Besatzerstaat politisch zu bewerten und auf die Verbrechen der Türkei gegenüber der kurdischen Gesellschaft und vor allem dem Besatzungskrieg gegenüber den selbstverwalteten Gebieten in Rojava, Şengal und Mexmûr aufmerksam zu machen. Wie wird die Zusammenarbeit der Schweiz mit der Türkei eingeschätzt und was sind die Forderungen der Aktivistinnen und Aktivisten an die Schweizer Politik?
“Wir haben beim neuen Freihandelsabkommen der Schweiz mit der Türkei gesehen: solange es Widerstand gab wurde es nicht in Kraft gesetzt. Sobald die Aufmerksamkeit weg von Erdogans Kriegsverbrechen war, setzte es die Schweiz sofort klangheimlich in Kraft. Für uns ist klar: nur wenn es Widerstand auf der Straße und damit in der Gesellschaft gibt, können wir die Kämpferinnen und das emanzipatorischen Projekt unterstützen. Wir profitieren als revolutionäre Bewegung sehr stark von der Guerilla und von den erkämpften Errungenschaften, vom starken Widerstand.
Wir wollen nicht an Politik appellieren, sondern unsere Verantwortung in einem der Herzen des patriarchal-kapitalistischen Systeme wahrnehmen. Wir wollen das ruhige Schweizer Hinterland beunruhigen.”
Am 09. März soll es ebenfalls eine Demonstration geben. Was ist das Ziel der Demonstration und wie wird der Kampf der Internationalistinnen und Internationalisten in Bern weitergehen?
“Die Demo kann als Schlusspunkt des ‘KillErdogan’ Prozesses gesehen werden. Es gab eine Auftaktkundgebung bei der alle politischen Plakate beschlagnahmt wurden, es gab aber auch zahlreiche Graffitis und Solidaritätsbekundungen, weit über die Schweiz hinaus haben sich Leute anlässlich des Prozesses solidarisiert.
Mit dem Prozess gelang es uns, das Thema schweizweit wieder publik zu machen, Erdogans Krieg der niedrigen Intensität aufzuzeigen und auch im Zeiten von relativ wenig Bewegung wieder größere Massen zu mobilisieren. Da im Gerichtsprozess eine andere Widerstandsform angewendet wird als auf der Straße, ist es wichtig auch wieder mit allen zusammen auf die Straße zu gehen. Ohne Richter und Polizei, selbstbestimmt und unbewilligt, denn Profite und Wirtschaftsbeziehungen können nicht im Gerichtssaal angegriffen werden. Dazu braucht es uns alle, aktiv und handlungsfähig.”