1. Spiess umdrehen: Warum wir nicht da sind, wo wir hinzitiert wurden
Es ist nicht in erster Linie der Staat, der von sich aus angreift, sondern wir, die angreifen, worauf er entsprechend angreift. Auch jetzt kehren wir den Spiess um und richten den Angriff auf den Kapitalismus, den Schweizer und den türkischen Staat!
Auf den ersten Blick neigt man dazu, zu sagen, dass sich in diesem Verfahren der Schweizer Staat dem Druck des türkischen Staats drückt und brav ausführt, was ihm diktiert wird. Es ist tatsächlich der türkische Staat, der diesen Prozess durchgesetzt hat. Das ist richtig.
Es sind zwei sehr unterschiedliche Staaten involviert, sehr unterschiedliche Kräfte. Trotzdem haben sie gleiche grundsätzliche Interessen: Mit Repression zu überziehen, was sich ihnen mit klassenkämpferischer, widerständischer oder revolutionärer Kraft entgegenstellt.
Der bürgerliche Schweizer Staat ist nicht nur ausführender Scherge, sondern sehr wohl eigenständig mitverantwortlich für viele profitorientierte Schweinereien in dieser Welt.
Die Versuche der Kriminalisierung der praktischen internationalen Solidarität in Westeuropa ist eine Front des türkischen Staats in ihrem Krieg niedriger Intensität gegen die kurdische-türkische linke Befreiungsbewegung. Entsprechend auch der Prozess wegen des “Kill Erdogan”-Transparents, der im Januar 2022 in Bern stattfinden wird, und in dem es ähnliche Druckversuche des türkischen Staats gibt.
Die pandemische Krise ist mit voller Wucht auf die bereits bestehende kapitalistische Krise geprallt. Das ist nicht nur in der Schweiz so. Weltweit spitzen sich Widersprüche zu einer historischen politischen wie ökonomischen Krise zu. Darin ist der Ausbau von Instrumenten zur präventiven Aufstandsbekämpfung – wie Staatsschutz, Polizei, Militär – durch die Herrschenden nur ein Ausdruck.
Als Linke sollten wir die “Brüche”, die sich auftun, genau verfolgen und verstehen, damit wir antizipierend unsere revolutionären Strategien entsprechend ausrichten.
2. Was heisst das in der pandemischen Krise
Strasse statt Isolation: Nur wer Teil der gesellschaftlichen Dynamiken ist, kann wirklich verstehen und analysieren, was passiert. Das heisst, sich die Strasse nehmen und fassbar sein statt in Isolation gedrängt zu verharren. Sich neue Räume anzueignen, um kollektive Prozesse zu stärken. Wir müssen lernen, uns in dieser speziellen Situation neue Wege und Methoden anzueignen. Natürlich immer die Solidarität und den gesundheitlichen Schutz der Menschen im Auge behaltend.
Beim bürgerlichen Staat dominieren Profit, Konkurrenz und Macht. Der Abbau und die Privatisierung des Gesundheitssystems sind ein gutes Beispiel dafür. Ein weiteres Beispiel für diesen Zynismus: Auf der einen Seite der Zwang zum Impfen, auf der anderen Seite werden Menschen in prekären Situationen (wie Flüchtlinge) zusammengepfercht, von der Gesellschaft isoliert und in ihren Rechten noch stärker eingeschränkt.
Der Staat delegitimiert sich selbst, lebt vor, dass man die Schwächsten opfern kann, und wundert sich dann, wenn dieser Zynismus reaktionäre bis hin zu faschistischen Kräften die Gunst der Stunde wittern lässt.
Wir gehen davon aus, dass der bürgerliche Staat mit seinen kapitalistischen Prinzipien und Freiheitsbegriffen gar nicht in der Lage sein kann, diese Krise anders in den Griff zu kriegen, als er es jetzt eben versucht: Profitorientiert, autoritär, Klassenspaltend. Der bürgerliche Freiheitsbegriff beinhaltet und bejubelt den Individualismus als höchsten Wert. Eine pandemische Krise ist aber damit nicht lösbar, im Gegenteil. Der Staat stosst sehr schnell an seine Grenzen, begegnet in der Krise diesem Individualismus autoritär, die Menschen entwickeln Wut und Empörung, gehen auf die Strasse.
Unsere grundsätzliche Staatskritik bestätigt sich in der Krise, wird noch sicht- und fassbarer. Wir vertrauen keinem Staat, der von oben herab Massnahmen im Sinne der Wirtschaft und Macht erlässt.
Wenn wir eine Gesellschaft aufbauen wollen, die alle schützt, dann müssen wir das selbst in die Hand nehmen. Im Sozialismus gibt es, unter anderem, sehr wohl Werte, die kollektive Solidarität und Verantwortung beinhalten – das sehen wir zum Beispiel im gesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie in Kuba. Die kollektive, solidarische Verantwortung orientiert sich am schwächsten Glied, genauso wie die schwach aufgestellten Kontinente durch die reicheren im Zentrum solidarisch getragen werden sollten.
3. Sozialismus oder Barbarei
Dazu gehört zum Beispiel die Vertiefung der internationalen Solidarität mit Rojava – nicht nur angesichts der aktuellen akuten Bedrohung eines neuen Angriffskriegs in Nordostsyrien durch das türkische Militär oder der Giftgaseinsätze im Nordirak, wo die freien Berge der PKK-Guerilla liegen, sondern auch angesichts der Bedeutung des revolutionären Prozesses in Rojava, welcher seit bald 10 Jahren weltweit ausstrahlt und die revolutionäre Linke inspiriert.
Dazu gehört, die Verantwortlichen für diesen Krieg in jedem Land aufzuspüren und anzugreifen, ob Staat oder Kapital, ob Kriegsmaterialproduktion oder sonstwas.
Wenn wir den grossen geostrategischen Kontext mit all seinen Widersprüchen und kriegerischen Auseinandersetzung betrachten und darin wiederum die Rolle der sich entwickelnden reaktionären faschistischen Strömungen anschauen, dann erkennen wir ohne Zweifel, dass in der historischen Phase von «Sozialismus oder Barbarei» alle revolutionären Kräfte sich zwingend einheitlicher und geschlossener positionierend aufstellen müssen. Es geht darum, die Einheit ins Zentrum zu setzen und einen internationalen strategischen Strang zu entwickeln, der den objektiven Bedingungen wie auch subjektiven Ungleichzeitigkeiten Rechnung trägt. In diesem Strang lässt sich der revolutionäre Prozess im eigenen Land mit solchen wie z.B in Kurdistan dialektisch aufeinander beziehen, damit er sich auch hier konkret niederschlägt.
Eine internationale antikapitalistische und antifaschistische Front oder Vernetzung sowie Kampagnen wie #riseup4rojava oder #fight4rojava sind dafür Beispiele.
Lasst uns uns gemeinsam aufstellen, gegenüber den konterrevolutionären und kriegerischen Angriffen auf alles, was sich in diesem und anderen Kontexten entwickelt. Lasst uns vereint den Spiess umdrehen und unsere internationalen revolutionären Prozesse verstärken!