In der Nacht auf den 30.Juli 2024 haben wir in Regensdorf den Briefkasten vom Vereinslokal der Isvicre Türk Federasyon gesprengt. Dieser Verein ist die offizielle schweizer Zweigstelle der türkisch-nationalistischen Partei MHP.
Unsere Aktion ist einerseits eine Antwort auf die immer gewalttätiger auftretenden europäischen MHP-Strukturen. Andererseits und vorallem stellt unsere Aktion einen internationalistischen Beitrag dar zum Befreiungskampf der kurdischen Bewegung. Sie ist ein etwas verspäteter Geburtstags-Gruss an Rojava, jenem Streifen Nord-Syrien, der seit nunmehr 12 Jahren die Hoffnungen aller unterdrückten Völker der Region erblühen lässt. Und der gleichzeitig bohrender Stachel im Fleisch des türkischen Nationalismus ist. Piroz be, Rojava, auf die nächsten 12 Jahre!
Trotz erdrückender militärischer Überlegenheit des Feindes, trotz faschistischen Herrschaftsmethoden und trotz dem längst tobenden ’Dritten Weltkrieg’ in der Region, gelingt es der revolutionären Freiheits-Bewegung immer wieder in die Offensive zu treten. Rojava 2012, Amed 2015, Iran/Rojhilat 2022 um nur einige zu nennen. Die jüngste Offensive findet in den Verteidigungsgebieten Südkurdistans statt, wo die Guerilla der türkischen Besatzungsmacht schwere Schläge versetzt und sie aus der Luft, vom Boden und aus der Erde heraus attackiert. Wenn, wie vor einigen Tagen bekannt wurde, dieselbe MHP, die wir heute angegriffen haben, plant in den vom türkischen Militär entvölkerten Dörfern Duhoks ihre eigenen Milizen anzusiedeln, ja dann wissen wir was das bedeutet: Es bedeutet, dass diese Faschist*innen kein Auge werden zutun können und Tag und Nacht die Vergeltung der Guerilla zu befürchten haben werden.
Es ist dieser Mut zur Offensive, im Militärischen wie im Gesellschaftlichen, an dem wir uns in Europa orientieren wollen, wenn auch hier die Bedrohung durch Krieg und Faschismus immer realer wird.
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Wer aber ist überhaupt die heute attackierte MHP? Sie ist weit mehr als Edogan’s Junior-Partnerin in der Regierung. Anfangs der 70er als klassisch nationalsozialistische Partei entstanden, war sie ab den 90ern die wesentliche Kraft in der Entwicklung dessen, was man in Europa die ’Neue Rechte’ nennen würde. In der Krise des neoliberalen Modells verstand sie es, die im türkischen Kontext bisher gegensätzlichen konservativen Strömungen des Kemalismus und des Islamismus miteinander zu verbinden. Sie stand damit Pate in der ideologischen Formierung des heute herrschenden Blocks des Islamo-Nationalismus. Der wesentliche Kitt dieser Synthese besteht aus militaristischem Expansionismus, Anti-Kommunismus, Kurd:innen-Hass und der Verteidigung patriarchaler Gesellschafts-Strukturen. In Europa sahen wir mit dem massenhaften Zeigen des Wolfs-Grusses (dem Partei-Gruss der MHP) während dem nationalistischen EM-Getümmel eine kleine Kostprobe der Verankerung dieser faschistischen Synthese innerhalb des nationalistischen Teils der türkischen Exil-Community.
Doch die MHP ist keine rein türkische Erscheinung. Gerade aus internationalistischer Perspektive ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass die MHP immer auch Instrument der NATO war. Ihr Gründungs-Vater Alparslan Türkeş (gerade vor einigen Monaten besuchte eine Zürcher Delegation dessen Grab in Ankara) genoss wie andere seiner Kumpanen eine militärische Ausbildung in den USA. Die MHP beziehungsweise insbesondere deren paramilitärischen Jugendgruppen (’Graue Wölfe’) waren in den 70ern zentrale Stützen des verdeckten NATO Aufstandsbekämpfungs-Projektes GLADIO. Auch in Europa, insbesondere in der BRD, genoss die MHP lukrative staatliche Unterstützung zur Terrorisierung der massenhaft nach Europa exilierten linken und kommunistischen Gast-Arbeiter_innen.
Diesen Charakter faschistischer Parteien als anti-kommunistische Kettenhunde des Imperialismus in Erinnerung zu rufen, ist heute in der tiefen Krise des Imperialismus von allerhöchster Wichtigkeit. Gerade im mitteleren Osten sehen wir, dass der Faschismus nicht einfach aus heiterem Himmel kommt. In der Türkei der 70er war er die Antwort auf eine vorrevolutionäre Situation in der Arbeiter:innen-Klasse, den Schwung der antikolonialen Befreiungsbewegungen und die Ölkrise. Heute ist er die Antwort auf den Freiheitsdrang der entrechteten Völker und insbesondere ihrer jungen Frauen, auf das neue Selbstbewusstsein, mit dem Kurd:innen, Araber:innen, Türk:innen, Armenier:innen, Iraner:innen und viele mehr in Rojava, in den Bergen, in den Städten und in den Gefängnissen für ihr Leben und ihre Freiheit kämpfen.
Sehen wir es realistisch, all die globalen wie regionalen Mächte, die in der Region Krieg führen – USA, Russland, Iran, Israel und die Türkei – sie alle kämpfen um ihr Überleben. Der türkische Palast musste mit den Lokal-Wahlen diesen Frühling eine empfindliche Niederlage einstecken, ganz zu schweigen von seinen katastrophalen militärischen Niederlagen in den Bergen. In dieser Situation werden die Angriffe der faschistischen Verbände und der Staats-Terror nicht weniger werden, im Gegenteil. Sie sind fester Bestandteil des Spezialkrieges und müssen als solche beantwortet werden. Mit dem Mut, der Entschlossenheit und der Kreativität der kurdischen Guerilla: In Rojava, in der Türkei, hier, überall. Mobilisieren wir gegen die zurückgedrängte aber noch nicht abgewehrte türkische Offensive gegen die Freiheits-Berge! Organisieren wir uns gegen die Ankündigungen des türkischen Regimes im August eine weitere Bodenoffensive gegen Rojava zu starten! Greifen wir die Verantwortlichen und ihre Handlanger:innen an, wo immer wir sie treffen!
Hoch die internationale Solidarität!
Fight for Rojava!